Home Office: Eine Frage der Umstände
Home Office: Was sich für leidgeprüfte Pendler und Großraumbüro-Insassen verheißungsvoll nach einem Hort von Freizeit und Lebensqualität anhört, kann auch das genaue Gegenteil sein. Deshalb prüfe, wer sich dienstlich ans Zuhause bindet. Tatsächlich kann der heimische Arbeitsplatz eine reizvolle und konstruktive Umgebung fürs tägliche Geschäft sein. Es lauern jedoch jede Menge Fallgruben auf dem Weg. Im Folgenden ein kleiner Wegweiser für deren Umfahrung.
Entstehung und Vorteile der Heimarbeit
Ausgerechnet aus den Tiefen des Silicon Valley weht kühler Gegenwind für das Prinzip „Home Office“. Und das auch noch von ganz oben: Marissa Mayer, die Vorstandsvorsitzende von „Yahoo“, beorderte alle Angestellten konsequent zurück an den Schreibtisch in die Firmenzentrale des Internet-Dienstleisters. Ihrer Begründung nach sei die Arbeit bei Yahoo mehr als nur ein Job, den man von Tag zu Tag erledige. Es gehe um eine Zusammenarbeit, die so nur in den „Yahoo“-Büros möglich ist. Bemerkenswert dabei: Dass Programmierer, Agenten, Journalisten und überhaupt alle, die für ihre Arbeit nicht viel mehr als einen Computer und eine schnelle Internetverbindung brauchen, im Home Office arbeiten können, ist vor allen Dingen den Erfindungen aus Marissa Mayers Branche zu verdanken.
Die Errungenschaften auf dem Gebiet der Breitband-Internet-Technik und der entsprechenden Software, um sie konstruktiv nutzen zu können, haben den Weg dafür geebnet, dass Kopfarbeiter ohne direkten Kundenkontakt ihren Arbeitsplatz ganz oder zeitweise in die eigenen vier Wände verlegen können. Oder überhaupt überallhin: Vor allem Kreative, Entwickler und Programmierer bewegen sich seither in einer Art Wunderwelt des Arbeitens: Egal ob am Strand, im Café oder auf einem Berggipfel – dort, wo die Ideen und Energien am besten fließen, lassen die jungen, hippen Chefs zahlloser Internet-Startups ihre Angestellten arbeiten.
Es bedarf noch nicht mal eines freigeistigen Unterbaus, um das Prinzip „Home Office“ aus betrieblicher Sicht gut zu finden. Die Vorteile, auch für große Firmen, liegen vor allem in Zeiten stetig steigender Mieten auf der Hand: Firmenzentralen müssen auch bei guter Auftragslage nicht neu bauen oder zusätzliche Räume anmieten. Dependancen können unter Umständen ganz eingespart und erfahrene Mitarbeiter, die aufgrund einer vorübergehenden Verletzung nicht ins Büro kommen können, weiterhin sinnvoll in den Betrieb integriert werden.
Auch für Arbeitnehmer sind die Vorteile vielfältig: Abgesehen von den kleinen Freiheiten eines Arbeitstags am heimischen Schreibtisch und der Zeit- und Kosten-Ersparnis durch den entfallenen Arbeitsweg können sich berufstätige Eltern um ein krankes Kind oder um ein Familienmitglied, das plötzlich Pflege braucht, kümmern. Es muss auch nicht mehr unbedingt einen Urlaubstag kosten, wenn sich Handwerker oder der Kaminkehrer ankündigen oder das Auto in die Werkstatt muss. Von den positiven Auswirkungen eines fehlenden täglichen Arbeitswegs ganz zu schweigen…
Dennoch ist man nun, nach ein paar Jahren mit Videokonferenz statt Besprechungszimmer, Meter-Distanzen statt Rushhour-Kolonnen in die Arbeit und Hausschlappen statt Halbschuhen, um ein paar Erfahrungen reicher. Nämlich, dass Home Office nur unter bestimmten Umständen eine Verbesserung darstellt. Vom Teamgedanken, den Marissa Mayer über ihre Überlegungen gestellt hat, mal ganz abgesehen: Es gibt eine Menge Dinge, die im Home Office falsch laufen können, wenn man nicht aufpasst.
ALLES EINE FRAGE DER UMSTÄNDE
Natürlich kommt es ganz auf den Beruf an, der von zu Hause aus ausgeübt werden soll, wie „gefährlich“ Home Office sein kann. Außerdem ist es ein Riesenunterschied, ob die Arbeit im Home Office tageweise einen an sich strukturierten Büroalltag ergänzen soll oder ob ein dauerhafter Home Office-Arbeiter regelmäßig per Videokonferenz in den Betrieb integriert wird. Eine ganz andere Sache ist es, ob ein Selbstständiger beziehungsweise Freiberufler von der Buchhaltung bis zur Produktion alles in den eigenen vier Wänden erledigen muss.
Erster Punkt: Der Mensch auf dem Bürostuhl
Um eine passende Reihenfolge von beachtenswerten Punkten zu finden, sei ausnahmsweise eine egozentrische Perspektive erlaubt. Denn das erste und größte Problem sitzt auf dem Bürostuhl selbst: der arbeitende Mensch. Wie mannigfaltig sind die Ablenkungen, die in den eigenen vier Wänden buchstäblich näher liegen als im Bürohaus. Es geht los bei den schönen Dingen, wie dem aktuellen Buch, das auf dem Couchtisch so viel verlockender aussieht als die Bilanz auf dem Schreibtisch. Oder die nagelneue Kamera-Drohne, die mit dem Smartphone zu steuern so viel mehr Spaß macht, als der Steuererklärung mit dem Taschenrechner Sinn einzuhauchen.
Abgesehen davon erweist sich sogar die Hausarbeit ein möglicher Störenfried. Sie erscheint – Stichwort „Steuererklärung“ – auf einmal vergleichsweise reizvoller. Die meisten kennen das aus Schul- oder Studententagen: Die saubersten Zimmer hatten immer die, die auf die wichtigsten Schulaufgaben oder Prüfungen lernen mussten. Und schließlich locken noch die kleinen Ablenkungen von der großen Arbeit, denen man gern auf den Leim geht: der kurze Artikel im Lifestyle-Magazin, das spontane Schwätzchen mit der Nachbarin oder der endlose Ausflug in private Internet-Welten. Das Allheilmittel dafür: Konzentration und Disziplin.
Dabei hilft es zum Beispiel sehr, sich einen bestimmten Rahmen zu stecken. Nehmen Sie sich bis zum Feierabend ein klar definiertes Arbeitsziel vor und behalten Sie es im Blick. Wichtig dabei ist, sich nicht zu übernehmen und machbare „Landmarks“ zu setzen. Andernfalls drohen kurzfristig Frustration und langfristig Burnout. Vereinbaren Sie mit sich selbst regelmäßige Pausen, einen Arbeitsbeginn und einen Feierabend – und, noch wichtiger, halten Sie ihn ein.
Zweiter Punkt: Der Bürostuhl, der Schreibtisch und der Papierkram
Wie im Büro gelten auch im Home Office ergonomische Standards. Natürlich lädt das heimische Umfeld dazu ein, im Arbeitszimmer bei etwas gemütlichere Beleuchtung ein paar Erb- oder Lieblingsstücke in Szene zu setzen. Da aber acht Stunden auf einem alten Holzstuhl nicht unbedingt bequemer werden, nur, weil er von den Altvorderen geerbt wurde und ein zu hoher Designertisch schlicht ein zu hoher Tisch bleibt: Ein höhenverstellbarer Bürostuhl und ein verstellbarer Schreibtisch sollten das Kernstück der heimischen Arbeitshöhle bilden. Beim Style müssen dabei heutzutage nur noch wenige Abstriche gemacht werden; die Lounge- oder Living-Bürostuhl-Kollektionen im Fachhandel sehen mittlerweile weniger nach Funktionsmöbel als vielmehr nach ziemlich stylisher Club- oder sogar Wohnzimmereinrichtung aus.
Achten Sie auch bei der Positionierung ihres Schreibtisches weniger auf Extravaganz, sondern vielmehr auf eine gute Beleuchtung. Der Tisch sollte 90 Grad zu einem Fenster stehen; das hauptsächliche Licht von außen sollte von der Seite auf den Monitor fallen, damit Reflexionen möglichst ausgeschlossen werden. Sparen Sie auch nicht bei einer passenden Jalousie, die die Lichtverhältnisse im Zimmer ideal regulieren kann – auch wenn Vorhänge bestimmt gemütlicher aussehen.
Bei der Wahl Ihres Bürostuhls verlassen Sie sich am besten auf die Beratung eines Fachhändlers – der Stuhl sollte mindestens höhenverstellbar sein und sich so einstellen lassen, dass Fußsohlen, Sitzfläche und Ellbogen parallel zueinander stehen können. Die Tischplatte der Arbeitsfläche sollte sich idealerweise neigen lassen, auf jeden Fall aber höhenverstellbar sein. Als ausreichende Höhe gelten momentan 72 Zentimeter, die Arbeitsfläche sollte etwa eineinhalb Meter auf 80 Zentimeter betragen. Positionieren sie Drucker, Scanner und Backup-Lösungen auf einem separaten „Technik“-Tisch.
Dritter Punkt: Die richtige Technik am Arbeitsplatz
Der nächste imaginäre Kreis um den heimischen Arbeitsplatz umfasst Computer, Drucker, Router und Telefon. Eine kabellose Internetverbindung und entsprechende Endgeräte sind mittlerweile Standard. Je nachdem, ob es sich um einen selbstständigen Heimarbeiter oder einen Angestellten handelt, empfiehlt sich auch eine eigene Telefonleitung ins Heim-Büro, um eine eigene Leitung für dienstliche Anrufe zu haben. Vor allem, wenn Teenager im Haus sind, die gerade mit dem Freundeskreis die Freuden der Telekommunikation entdecken, sind viele Wege ins weltweite (Telefon-)Netz von Vorteil. Hier sollte man sich – wie im Büro auch – auf professionelle Standards verlassen.
Wählen Sie deshalb vor allem beim Monitor ein professionelles Modell, das aktuelle Standards hinsichtlich Kontrast, Lichtstärke und Auflösung voll erfüllt. Auch beim Licht sollten Sie möglichst wenige Abstriche machen: Arbeitslicht ist hell, aber nicht grell – so die Faustregel. Vermeiden Sie Reflexe, Blendungen und investieren Sie in eine guten Schreibtischlampe. Stellen sie Ihren Monitor zwischen 50 und 70 Zentimeter vom Auge auf. Denken Sie an eine professionelle Backup-Lösung und ersparen Sie sich das Gefühl, wertvolle Daten und Dateien an einen Festplattenfehler verloren zu haben.
Achten Sie bei Tastatur und Maus auf Ergonomie anstatt auf Design. Sparen Sie nicht an Stauraum im Arbeitszimmer, so dass Ihre Arbeitsunterlagen das heimische Büro nicht verlassen müssen und stets zur Hand sind. Informieren Sie sich unbedingt, welche Standards Ihr Arbeitgeber beim Thema „Datenschutz“ hat; kümmern Sie sich außerdem um die passende Versicherung. Salopp gesagt: Sind Sie versichert, wenn Sie sich auf dem Weg vom Drucker zurück zum Schreibtisch das Bein brechen?
Vierter Punkt: Ein eigenes Zimmer, mindestens aber einen Tabu-Bereich
Bürostuhl, Tisch, Computer und die ganze Peripherie stehen idealerweise in einem eigenen Zimmer. Der größte Vorteil eines Arbeitszimmers ist eine eigene Tür. Sie kann zu einem wichtigen Kommunikationsmedium im Haushalt werden – dazu später mehr. Ein eigenes Zimmer garantiert vor allem in einem Mehrpersonen-Haushalt Ruhe zum Arbeiten und Telefonieren. Auch, wenn nur eine Person im Haushalt lebt, hat ein eigenes Arbeitszimmer Sinn: Das Extrazimmer wird zum Arbeitsplatz, der deutlich vom Rest der Wohnfläche getrennt ist. Der deutlichste Vorteil: Dienst ist Dienst und Privat ist Privat – wer von der Couch aus den Schreibtisch sieht, kann nicht ordentlich abschalten.
Auch wenn Sie kein eigenes Zimmer fürs Home Office zur Verfügung haben, sorgen Sie mit einem Raumteiler oder einen Trennwand für eine gewisse Abgrenzung zu Ihrem Privatleben. Wenn Sie ein ganzes Zimmer für Ihre Arbeit erübrigen können, sorgen Sie dafür, dass es von den Auswirkungen des privaten Daseins unberührt bleibt. Kurz gesagt: Die Platten-, Bücher-, CD- oder DVD-Sammlung darf im Regal stehen, wenn noch genügend Platz für Arbeitsmaterialien übrig ist.
Verzichten Sie dennoch nicht auf eine persönliche Note: Wer gern zur Arbeit geht – und wenn es sich um die eigenen vier Wände handelt – der ist langfristig glücklicher. Zwar geht Zweckmäßigkeit vor Stil, aber mit etwas Überlegen lässt sich bestimmt ein schöner Kompromiss zwischen praktisch und gemütlich finden. Laut Experten beträgt die optimale Raumtemperatur 22 Grad Celsius und die durchschnittliche Luftfeuchtigkeit 50 Prozent – hier können Pflanzen helfen.
Fünfter Punkt: Die Einhaltung von Regeln im Mehrpersonenhaushalt
Den Anfang einer jeden Home Office-Planung macht eine kleine Familiensitzung: Was hat eine geschlossene Tür zu bedeuten, was eine angelehnte und was eine sperrangelweit offene? Alternativ dazu: Haben die Kinder am Vormittag überhaupt Zutritt zum Büro, unter welchen Vorzeichen können Sie am Nachmittag eintreten und was ist das Zeichen für „Nur, wenn es um Leben und Tod geht!“. Erfahrungsgemäß mehr Probleme mit der Privatsphäre bei heimarbeitenden Menschen machen übrigens die eigenen Lebenspartner. So denkt die Hausfrau natürlich vor allem praktisch, wenn Sie dem arbeitenden Mann das Aufhängen der Wäsche zuordnet, während sie die Kinder holt. Wenn dazu aber noch Rasenmähen, Einkaufen und Staubsaugen kommt, hat der Arbeitstag plötzlich keine acht, sondern nur noch fünf oder sechs Stunden.
Schaffen Sie von Anfang an klare Verhältnisse: Legen Sie Ihre Arbeitszeit glasklar fest und grenzen Sie Ihr dienstliches Dasein klar vom Privatleben ab. Natürlich können Sie die Nähe Ihrer Arbeit zum Privatleben nutzen und in der Mittagspause Hausarbeiten erledigen, für die Sie sonst keine Zeit hätten. So bald ihr privates Dasein Auswirkungen auf ihre dienstliche Präsenz hat, ist das Prinzip „Home Office“ gefährdet oder bereits gescheitert. Sprechen Sie, und das in aller Deutlichkeit, mit Ihrem Partner darüber. Wer sich im Internet ein bisschen umhört, findet jede Menge Berichte, nach denen die Arbeit im Home Office zu schweren Turbulenzen in der Partnerschaft führt.
Als größtes Problem wird das Verständnis, nach dem der von daheim aus arbeitende Partner sozusagen immer frei hat und somit auch mehr Tätigkeiten im Haushalt übernehmen muss, angegeben. Sprechen Sie offen über dieses Thema und einigen Sie sich darauf, dass die Arbeit im Home Office als genauso verbindlich geregelt wird wie die Arbeit in einem Bürogebäude.
Zusammengefasst lässt sich feststellen, dass die Arbeit im Home Office voller Tretminen sein kann. Werden sie aber ernstgenommen und mit Herz und Verstand entschärft, ist das Prinzip „Home Office“ eines, das eindeutig ein Mehr an Lebensqualität birgt.